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S-Bahn-Schulung am Münchner Hauptbahnhof
S-Bahn-Schulung für Blinde und Sehbehinderte am Münchner Hauptbahnhof
Grace und ich sind, seitdem wir in München arbeiten, sehr oft mit den S-Bahnen unterwegs. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten, weil wir in Leipzig mit diesem Verkehrsmittel keine Erfahrung sammeln konnten, kommen wir mittlerweile ganz gut klar. Wie ich allerdings die Türen von außen öffnen kann, wusste ich bis jetzt nicht. An den Haltestellen bleibt ja keine Zeit diese und andere Dinge auszuprobieren.
Ich war daher sehr froh, dass eine S-Bahn-Schulung für blinde und sehbehinderte Fahrgäste in Zusammenarbeit mit der Münchner Volkshochschule und der für die S-Bahn verantwortlichen Mitarbeitern der Deutschen Bahn angeboten wurde. Diese Schulungen wurden schon mehrmals angeboten und finden jedes Jahr großen Anklang.
Insgesamt 17 Teilnehmer trafen sich am frühen Abend des 16.4. am Gleis 36 des Hauptbahnhofes, an dem extra ein S-Bahn-Zug bereit gestellt worden war. Neben Grace und mir waren noch zwei andere Führgespanne anwesend und eine sehbehinderte taube Dame mit Begleitung.
Wir sammelten uns am Kopf der S-Bahn und die einzelnen Mitarbeiter stellten sich zunächst vor.
Zuerst gab es einen kurzen Theorieteil, indem wir erfuhren, dass
- eine S-Bahn 70 Meter lang ist,
- maximal 3 Züge aneinander gekoppelt werden können,
- es pro Zug 12 beidseitig vorhandene Türen gibt, die nur aufgehen, wenn wirklich ein Bahnsteig vorhanden ist und dass
- es möglich ist durch die S-Bahn nur mit minimalen Stufen an den Wagengelenken komplett von vorn nach hinten durchzugehen.
Bild 1: Melli und Jacqueline hören den theoretischen Einführungen zu
Die Bahnsteighöhe beträgt meist 96 cm (vom Boden gerechnet) und viele Bahnhöfe sind bereits barrierefrei umgebaut.
Eine Erleichterung für uns ist es, das fast alle S-Bahnen in München von der gleichen Baureihe sind und wir uns somit gut orientieren können.
Dann durften natürlich auch Fragen gestellt werden.
Zum Beispiel finde ich es immer ungünstig, dass die Türen nach kurzer Zeit von selbst zugehen. Uns wurde aber erklärt, dass dies nötig sei, weil es auf der Stammstrecke zwischen München Pasing und Ostbahnhof durch das hohe Fahrgastaufkommen unmöglich sei loszufahren, wenn die Lichtschranke aktiviert wäre, weil sich dann ununterbrochen Fahrgäste in die S-Bahn drängeln würden und die Türen nie schließen würden.
Angenehmer wäre es für mich und Grace schon, aber ist nicht zu ändern.
Rechts neben den Türen befinden sich Plätze für schwerbehinderte Fahrgäste.
Außerdem sind in jedem Einstiegsbereich eine Notbremse und eine Sprechanlage angebracht, mit der man bei Bedarf mit dem Zugführer Kontakt aufnehmen kann.
Wir durften uns, in zwei Gruppen aufgeteilt, alles anschauen.
Wichtig ist, dass man, wenn man die Sprechanlage bedient erst drückt, dann wartet bis der Zugführer antwortet und dann erst sprechen kann. Ich könnte mir vorstellen dies zu nutzen, wenn die Ansage mal nicht funktionieren sollte oder sehr leise ist, sodass sie nicht zu verstehen ist.
Bild 2: Jacqueline an der Gegensprechanlage
Und nach diesem theoretischen Teil kam dann die Praxis, wo wir am eigenen Leib ausprobieren konnten,
wie man sich verhält, wenn man ins Gleis gefallen ist.
Vorab noch die Info, dass
- die S-Bahnen auf freier Strecke bis zu 140 km/h schnell fahren
- einen Bremsweg von ca. 1000 Metern haben und
- die S-Bahn, wenn der Fahrer einmal das Signal zum Losfahren bekommen hat, erst im nächsten Bahnhof anhält.
Bei einer Notbremsung hält der Zug unmittelbar, nicht aber innerhalb eines Tunnels, dann erst wieder auf der freien Strecke.
Es gibt nur Videoüberwachung im Zug, nicht auf den Gleisen.
Damit wir nicht schmutzig wurden und uns nicht doch verletzen, zogen wir uns Schutzanzüge, Handschuhe und einen Helm an. Und dann wurden wir einzeln von einem Mitarbeiter vor die S-Bahn ins Gleis geführt.
Bild 3: Der Mitarbeiter der S-Bahn München führt Jacqueline entlang des Gleises über das Schotterbett
Ich ertastete die Schienenköpfe und die Schwellen und bekam ein erstes Gefühl was es bedeutet nach einem Sturz dort aufzukommen. Dann hatte ich die Möglichkeit die S-Bahn anzufassen mit ihren scharfen Kanten und musste unweigerlich an die vielen Personenunfälle denken.
Bild 4: Jacqueline aufrecht stehend an der Wagenfront
Wir legten uns auf das Schotterbett:
Bild 5: Beide robben auf dem Schotter unter den Wagen
Ich bekam erklärt, was ich machen sollte, wenn ich ins Gleis gefallen wäre:
Zuerst einmal alles, Jacken, Schals, Rucksack, Tasche von sich werfen, dann so schnell wie möglich vom Schienenkopf hin zur Bahnsteigmauer robben flach auf dem Bauch und dort ruhig liegen bleiben.
Bild 6: Jacqueline direkt unter dem Wagen, die Hand am Gleis
Schon das Kriechen ist in dieser Situation schwer gewesen, ganz zu Schweigen in einem Schockzustand nach einem Sturz.
Und das Gefühl, als ich unter dem Zug lag, war nur noch beängstigend und mir ist jetzt, wenn ich das schreibe auch immer noch mulmig, wenn ich daran denke.
Bild 7: Jacqueline hebt den Kopf und lacht wieder ein bisschen
Bild 8: Grace erwartet Jacqueline heil zurück
Ich war wieder froh als ich wieder auf dem Bahnsteig war und mich Grace freudig begrüßte.
Alles in allem war die Schulung eine echte Bereicherung und ich bin froh, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, daran teilnehmen zu können.
Wir ließen den Abend noch bei einem gemütlichen Essen ausklingen, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machten.
© Text: Jacqueline Flor
© Fotos: Dogxaid, mit freundlicher Genehmigung der anwesenden Teilnehmer
Autor: root -- 21.08.2013 13:36:27
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